Jede Mediation ist streng vertraulich. Daher haben wir die Namen der Beteiligten geändert und den Konflikt verfremdet.
Erbe
Medianden:
Die beiden einzigen Erben:
Sandra, 45 Jahre, verheiratet, 3 Kinder, PTA (mit Hochschulstudium)
und ihr Bruder
Carlos, 52 Jahre, in fester Partnerschaft, 2 Kinder, Bauingenieur
Konfliktsituation:
Die Mutter besitzt sechs Grundstücke und lud Sandra ein, sich die drei auszusuchen, die sie später gerne einmal erben würde. Die Mutter akzeptierte die Wahl und verfügte sie in einem Testament. Als Carlos davon erfuhr, war er außer sich. Die Wahl sei “total ungerecht”, denn die Schwester habe sich drei Baugrundstücke ausgewählt und ihm ein Baugrundstück und zweimal Ackerland überlassen. Er versuchte, mit der Mutter zu sprechen, er versuchte, mit der Schwester zu sprechen, doch beide verschlossen sich. Die Beziehung verschlechterte sich zunehmend. Bald gab es keine Familientreffen mehr, und der Kontakt reduzierte sich auf ein Minimum.
Initiative:
Carlos entdeckte die Mediation als Methode, einen Konflikt zu lösen, und schaffte es, Sandra zu überzeugen („schlechter werden kann es ja nicht mehr”). Im Vorgespräch mit der Mediatorin beschlossen sie, eine Mediation durchzuführen, und zwar ohne die Mutter („die es nur noch komplizierter machen würde“).
Erkenntnis:
Bei diesem Konflikt ging es nicht um Werte. Es war ein Beziehungskonflikt. Während ihrer Kindheit und Jugend bis zur Erkenntnis in der Mediation fühlte sich Sandra im Vergleich zum Bruder von der Mutter stets weniger geliebt und geachtet. Sie empfand dies als sehr ungerecht, schließlich hatte sie der Mutter stets mehr Zeit gewidmet, zu Arztbesuchen begleitet und in den Familienurlaub mitgenommen. All diese Ungerechtigkeit sah sie plötzlich ausgeglichen mit der Einladung der Mutter, sich ihre bevorzugten Grundstücke auszusuchen. Was für eine Genugtuung! Carlos fand hingegen, die Mutter in gleichem Maße unterstützt zu haben, nur in anderer Form. Er übernahm die führende Rolle bei der Beerdigung des Vaters und beriet die Mutter in Investitionen wie zum Beispiel beim Kauf einer Immobilie. In der Mediation sprachen die Geschwister offen über ihre verletzten Gefühle, über ihre Bedürfnisse und darüber, wie sie in Zukunft miteinander umgehen und leben wollen.
Lösung:
Carlos und Sandra definierten ihre Beziehung neu und schrieben sie in detaillierter Form in die Mediationsvereinbarung. Die Hauptpunkte waren folgende:
1) Gemeinsam baten sie die Mutter, das Testament zu zerreißen und darin einzuwilligen, das Erbe später einmal von Sachverständigen schätzen zu lassen und dann zu gleichen Teilen unter sich aufzuteilen.
2) Sie teilten sich die Unterstützung der Mutter auf und verpflichteten sich zu regelmäßigen Einladungen und Besuchen sowie dazu, die Mutter abwechselnd mit in den Urlaub zu nehmen.
Ergebnis:
Die Familie war wieder vereint, und das brachte Vorteile für alle. Sandra konnte ihre Verpflichtungen bezüglich der Mutter reduzieren, Carlos fühlte sich stärker involviert und die war zufrieden, weil sich ihre Kinder wieder verstanden und mitsamt ihren Familien trafen.